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Hier stehe ich, ich kann nicht anders!

Markus Turm Markus Turm
Markus Turm
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Hier stehe ich, ich kann nicht anders!
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Fiatgnadensystem

Hier stehe ich, ich kann nicht anders!

Ein beispielloser, ja weltgeschichtlicher Augenblick! Die Reformation brach aus, weil erst ein Einzelner revoltierte und kurz darauf unfassbar viele. Alleine schon in diesem einen Satz drängt sich der Vergleich zu Bitcoin geradezu auf. Die Bedeutung der Reformation liegt in der Entwicklung weg vom System kirchlicher Bevormundung hin zur Souveränität des Einzelnen.

Der status quo wird immer akzeptiert, doch dann kommt unvermittelt ein Einzelner, der ihn in Frage stellt, und - fast noch wichtiger - neben der tiefen Analyse der Verhältnisse auch noch den Mut und die Hartnäckigkeit aufbringt, den Kampf gegen den status quo anzutreten.

  • Fiatgnadensystem

Was wir Reformation nennen, war in Wirklichkeit eine gigantische Ablass-Blase, die Martin Luther zum Platzen brachte. Das päpstliche Ablasssystem funktionierte im Grunde wie ein Kreditinstitut. Grundlage war der sogenannte Gnadenschatz der Kirche, den der Papst dank seiner Schlüsselgewalt jederzeit aufschließen konnte, um die Christenheit freigebig mit Grande zu bedenken. Gnade war für die Christen existentiell, weil durch sie die Lebensfrist im Fegefeuer verkürzt werden konnte. Erst wenn die Strafe im Fegefeuer abgebüßt war, konnte der Gläubige überhaupt in den Himmel gelangen. Das Fegefeuer war nicht die Hölle, jedoch ebenfalls ein Ort, der nach Pech und Schwefel roch.

Sünde ist also nichts anderes als Schuld vor Gott. Gnade indessen ist die himmlische Währung, um die eigene Schuld bei Gott zu begleichen. Die monetäre Seite des vorreformatorischen Fiatgnadensystems wird sofort sichtbar, wenn man “Grande” durch “Geld” ersetzt. Der Gnadenschatz der Kirche war ein rein virtueller Schatz. In ihm lagerten die überzähligen Verdienste Jesu Christi und der vielen Heiligen.

Hier drängt sich natürlich der Vergleich zu unseren Zentralbanken geradezu auf, in der Frühzeit des Fiatgnadensystems agierte Rom auch noch als eine Art standortgebundene Zentralbank. Ab dem Jahr 1478 ging die Kirche jedoch dazu über, Gnade von leichter Hand zu schöpfen, Institutionen und Plätze außerhalb Roms hatten nun auch das Recht, Gnade zu erteilen.

Europaweit erhielten Städte und Orte die Lizenz, Fiatgnade unters Volk zu bringen. Gnadenemittent letzter Instanz blieb die Zentrale in Rom. Diese emittierten Beichtbriefe, mit denen sein Besitzer Buchgnade erwerben konnte, die er - wenn immer er wollte - in Realgnade einlösen konnte, um sich von seinen Schulden zu befreien. Mit Erfindung des Buchdrucks konnten diese Ablassbriefe massenhaft gedruckt werden, der älteste erhaltene Druck überhaupt in England beinhaltet einen solchen Ablassbrief.

  • Luthers Eintritt in die Weltgeschichte

Am Vorabend des Allerheiligenfestes (31 Oktober) im Jahre des Herren 1517 sind von Doktor Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablass an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen worden.

Jeder Christ, der wahrhaft Reue empfindet, hat vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld, auch ohne Ablassbriefe

Der Luther habe einen klugen Kopf, aber er unterstehe sich, meine Einnahmen zu schmälern, wird Papst Leo X. zitiert. Er erkannte die Gefahr, die von Luther ausging, und verabschiedete am 3. Feb 1518 Gabriele della Volta nach Deutschland mit den Worten:

Wie du sicher weißt, betreibt dieser in Deutschland unerhörte Neuerungen und lehrt unsere Völker neue Glaubenssätze. Er möge deshalb gelehrte Männer als Vermittler einschalten, um diese Flammen schnell zu ersticken. Denn alles, was noch klein und im Entstehen begriffen sei, halte starken Gegenmaßnahmen nicht stand. Wenn wir aber abwarten und das Übel an Kräften zunimmt, so fürchte ich, dass wir den Brand mit keinem Mittel mehr eindämmen können.

Obwohl Papst Leo X. die Gefahr schnell erkannt hatte, konnte er sie nicht aufhalten, die heutigen Zentralbanken lachen zum Glück noch über Bitcoin.

Zum großen Showdown kommt es dann im April 1521, Luther wird zum Reichstag nach Worms zitiert, um vor dem Kaiser Karl V. zu widerrufen. Luthers Ankunft in Worms geriet ungeplant zu einem Triumphzug, zweitausend Menschen sollen auf den Beinen gewesen sein. Die Preise für Ablassbriefe waren zu der Zeit schon längst im freien Fall, um die Kirche zu finanzieren, ging man schon dazu über “Helikoptergnade” zu verteilen. Ablasswelle um Ablasswelle rollte über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hinweg. Jede Woche aufs Neue klingelte ein anderer Vertreter an der Haustür, um “Lebensversicherungen” zu verkaufen. Dabei waren schon alle längst überversichert. Für weniger als 1 Gulden konnte man in den Genuss von Gnadenerweisen kommen, wie sie vorher selbst Kaisern nicht vom Papst verliehen worden sind.

Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde - denn allein dem Papst oder den Konzilien glaube ich nicht, da es feststeht, dass sie häufig geirrt und sich auch selbst widersprochen haben - so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte bezwungen. Und solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nicht widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Ich kann nicht anders, hier stehe ich. Gott helfe mir, Amen.

Karl V. erklärte, es sei genug, er wolle nichts mehr hören. Im Freien riefen ihm spanische Reiterknechte nach: “Ins Feuer! Ins Feuer mit ihm!” Es war die alte Geschichte vom Kampf David gegen Goliath, Gut gegen Böse. Luther konnte sich auf die Bibel berufen, von Ablass und Fegefeuer steht in der Bibel nichts. Jahrhunderte hindurch hatten die Christnheit im Stadium der Schuld gelebt, doch war das offenbar eine Art Justizirrtum, die verhängten Bußgelder waren ungerechtfertigt.

Der Papst hat Geld von uns Gläubigen genommen, obwohl wir ihm gar nichts schuldig waren!

Egel, wie man die Sache auch dreht und wendet, der Papa in Rom war ein kleinkrimineller Trickbetrüger. Indem Martin Luther die Exklusivität der päpstlichen Schlüsselgewalt in diesem entscheidenden Punkt in Frage stellte (und das Fegefeuer gleich mit), brachte er das System zum Einsturz. Der Papst hatte Gnadenpapiere emittiert, die nicht gedeckt waren. Der Vorwurf bewusster Täuschung wurde laut.

Sobald das Vertrauen in seine Deckung verloren war, kehrte der Beichtbrief zu seinem inneren Wert zurück und wurde zum dem, was er materiell darstellte: ein Stück Papier. Die vermeintlichen Opfer sahen es so: Sie blieben auf den wertlosen Zetteln sitzen, während der Klerus den Geldgewinn einstrich. Der Klerus hatte nicht nur frech die arglosen Laien übervorteilt, er war zu allem Überfluss auch noch von der Steuer befreit.

Wie kommt es, dass ihr Mönche und Pfaffen von allen Steuern befreit seid und ich armes Weib nicht? (fragt ein Altmütterlein)

Freiheit wurde zur Losung der Reformation, Freiheit beinhaltete im Kern die Befreiung von der Schuld. Die aufständischen Bauern machten 1525 aus “Freiheit von Schuld” “Freiheit von Abgabenschuld”, Luther stellte sich hier aber auf die Seite der Fürsten, die seine Sicherheit garantieren und rief dazu auf, die Bauern zu erschlagen.

Hat Satoshi mit der Veröffentlichung des Whitepapers am 31.Okt auf die Reformation bezug genommen, was meint ihr?

(Diesen Artikel haben ich dank des Buches "1521 Europas erster Wertpapierkollaps" geschrieben, sehr gutes Buch, kann jch nur empfehlen)

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